Ist die ELF ein trojanisches Pferd?


Tilman Engel, der von 1991 bis 2007 für Frankfurt Galaxy tätig war, äußert sich im Interview zur neuen European League of Football und deren Auswirkungen auf American Football in Deutschland. 

Tilman Engel
Tilman Engel
Fotos: privat, imago Martin Winter

Beinahe wäre Engel ein echter Frankfurter Bub geworden, aber seine Mutter musste im Krieg während der Bombardierungen Frankfurt verlassen, und Engel kam in Freiburg zur Welt.

Der Jurist und Historiker besitzt den schwarzen Gürtel in Tae Kwon Do und arbeitete 1991 bei der American Chamber of Commerce in Deutschland. Dort lernte er den damaligen Präsidenten der NFL Europe Oliver Luck kennen, der von ihm spontan sehr beeindruckt war und ihn bei Frankfurt Galaxy als Direktor Sales and Distribution einstellte. Der Galaxy blieb er bis zur Einstellung der Liga 2007 treu, von 1998 bis 2007 führte er die Franchise als General Manager. Gleichzeitig war er League Executive der NFL Europe.            

Das letzte Finale der NFL Europe verlor der Titelverteidiger Frankfurt Galaxy vor 48.125 Zuschauern gegen die Hamburg Sea Devils. Neben dem Spiel sorgte Meat Loaf und Thin Lizzy für die damals fantastische Atmosphäre und begeisterte Fans. 

Bei der Gründung der Hamburg Sea Devils 2004 hatte Engel ebenfalls aktiv mitgewirkt, umso trauriger war danach die Pflicht, den Spielern, Trainern und Fans das Ende der NFL Europe ankündigen zu müssen. Wenn sich in Deutschland jemand mit der erfolgreichen Einführung einer American Football Franchise mit allen Höhen und Tiefen und auch den wirtschaftlichen Aspekten hinter den Kulissen auskennt, dann ist es Engel. Mittlerweile ist Engel im Beirat für den German Bowl, dem Endspiel der GFL, welches im Deutsche Bank Park in Frankfurt ausgetragen wird.

Wir sind ihm daher sehr dankbar, dass uns der immer noch vielbeschäftigte Manager für diese Fragen zur Verfügung gestanden hat.

Mit Ihrem Facebook Post zur European League of Football (ELF) haben Sie für sehr viel Aufsehen gesorgt: „Ich lehne diese schamlose Kannibalisierung des bestehenden Footballs in Deutschland ab. Wenn es scheitert - und das wird es aufgrund all der riesigen Defizite, die jetzt schon erkennbar sind – ist der deutsche Football wieder um Jahre zurückgeworfen.“

Welche Defizite der neuen Liga sind für Sie erkennbar?      

„Bislang wird hier nichts Neues geschaffen, sondern ausschließlich aus bestehenden Teams und Vereinen genommen, ohne irgendetwas in Form von hoch-klassigem Football, überregionaler Veranstaltung oder gesellschaftlichem Engagement zurückzugeben. Nur zehn Wochen vor Beginn der Saison ist völlig unklar, wer hier wie und wofür zuständig ist, es gibt keine erreichbaren Ansprechpartner auf Seiten der Ligaleitung (wie immer diese auch aufgestellt sein mag), keine Medien- oder Öffentlichkeitsarbeit, keine wirklichen Homepages – eigentlich nichts was den Eindruck vermitteln könnte, dass es sich wirklich um einen ernstgemeinten Ligabetrieb handeln könnte. Wahrlich ein Danaer Geschenk – „Timeo Danaos ut dona ferentes“, Vergil: Aeneid – „Ich fürchte die Danaer (Griechen), auch wenn sie Geschenke (Hölzernes Pferd) bringen“

Die damalige Galaxy spielte in den besten Zeiten im Frankfurter Waldstadion vor über 50.000 Zuschauern und galt als das einzige rentable Team in der NFLE. Nicht ohne Grund wurden im Laufe der Jahre immer mehr europäische Teams geschlossen und am Ende spielten dort fünf deutsche und ein holländisches Team. Damals profitierte gerade die Galaxy auch von den zahlreichen amerikanischen Zuschauern aus dem Umfeld der Kasernen.

Halten Sie solche Zuschauerzahlen heute noch für möglich und welche Budgets würden Sie dafür ansetzen?

„Um erst einmal einem alten Mythos den Zahn zu ziehen: zu keiner Zeit stellten Zuschauer aus dem Umfeld der Kasernen mehr als 5 % der Stadionbesucher. Der Galaxy-Fan lebte eher außerhalb der großen Ballungszentren und sprach Hessisch – nicht Englisch! Ein entsprechendes, wertiges, glaubwürdiges US-Sportprodukt könnte natürlich auch heute noch entsprechende Zuschauerzahlen generieren.  Dabei sind von der Veranstaltungsseite her die hohen Stadionkosten der limitierende Faktor. Es lassen sich auch mit 15.000 zahlenden Zuschauern je Spiel entsprechende Sport-Events organisieren, sofern ein ausreichendes und bezahlbares Stadion zur Verfügung steht. Bei Großstadien braucht es sicherlich deutlich über 30.000 zahlende Besucher je Spiel.“ 

Können Sie uns verraten, wieviel Budget die NFLE damals in die gesamte Liga und speziell in Galaxy investiert hat? 

„Also mir sind nur die Zahlen bekannt aus der Zeit als ich Geschäftsführer der Frankfurt Galaxy war und dann auch im Management Board der Liga war. Es kann aber recht gut davon ausgegangen werden, dass das Gesamt-Engagement der NFL von 1991 - 2007 bei mindestens USD 500 Millionen lag.

Bis auf das Kick-off Jahr 1991 - und 1993 / 94 - während der Spielbetrieb eingestellt war, gab es aufgrund der guten wirtschaftlichen, operativen Geschäftsergebnisse der Galaxy keine weiteren Direktinvestitionen. Allerdings hat die Liga immer die Spieler und Coaches-Gehälter direkt bei sich verbucht, ebenso wie die Versicherungs- und Gesundheitskosten der Mannschaften.“

Halten Sie das ELF Franchise System für wirtschaftlich tragfähig?

„Hierzu gibt es nur wenig zu sagen, weil zu den finanziellen und wirtschaftlichen Hintergründen schlichtweg nichts bekannt ist, außer dass nun wiederholt verschiedene Team-Investoren abgesprungen sind und Sponsoren anscheinend immer noch nicht benannt wurden.

Nur ein Thema stellt sich recht offenkundig dar: da 13 Spiele live im Privat-TV übertragen werden sollen, müssten diese mit einem erheblichen personellen und finanziellen Aufwand in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro je Spiel auf professionellem Niveau produziert werden.  Je nach Stadiongröße und technischem Anspruch kann dafür leicht 50 % des Jahresetats eines Teams erforderlich sein – je Spiel!“

Wie würden Sie das Leistungsniveau der ELF Teams im Vergleich zur damaligen NFLE einschätzen?

Ein Verhältnis wie von 4/5 A High School Football zur Bowl Championship Series.

Momentan sind die Fans der damaligen Teams in zwei Lager gespalten. Die einen freuen sich riesig, dass sie wieder ihre alten Trikots auspacken können und schwelgen in schönen Erinnerungen. Andere betrachten das sehr kritisch, da außer dem Namen keine Gemeinsamkeit zu den damaligen Teams besteht. Wie sehen Sie das? Gibt es dazu Reaktionen in Ihrem persönlichen Umfeld von ehemaligen Spielern, Trainern und Beteiligten?

Bekanntermaßen sind ja einige (wenige) der damals später Beteiligten nun in diesem Projekt engagiert (gewesen). Viele Weitere, die mittlerweile über ganz Europe und die USA verteilt sind, wundern sich über den Anspruch eine vollständige Liga zu starten, ohne dabei die beträchtlichen Planungs-, Vorbereitungs- und operativen Prozesse und Abstimmung beizeiten vorzunehmen, die hier erforderlich sind. Wenn dabei bei existierenden Vereinen gewildert wird, macht es dies zumindest auf der lokalen Ebene ein wenig leichter.

Gerade darüber sprach ich erst letzte Woche mit Oliver Luck und anderen ehemaligen Mitarbeitern der Liga aus Anlass des 30jährigen Jubiläums des ersten WLAF / NFLE Spiels am 23. 3. 1991: Frankfurt Galaxy vs. London Monarchs.

Wie werden die Fans reagieren, welche eine „Rückkehr“ der glanzvollen Namen und des damaligen Spektakels erwarten und dann die ersten Spiele sehen?

„Markennamen wie Frankfurt Galaxy und Hamburg Sead Devils (wieso gibt es eigentlich kein solches Bestreben im alten Rhein Fire Land am Niederrhein?) sollen ein Football-Erlebnis suggerieren, dass in kleinen Stadien, bei kleinen Budgets und vor überschaubaren Zuschauerzahlen so einfach nicht geliefert werden kann – zudem gibt es 5 A High School Football: diese Realisierung wird ernüchternd sein.“

Als Jurist und Historiker kennen Sie sich besonders mit der römischen Geschichte auf, beim Helm der Cologne Centurions ist Ihnen daher sofort eine Unstimmigkeit aufgefallen. Was ist das genau?

„Da ich selbst die Namen von Ohio Glory*, der Cologne Centurions* und der Hamburg Sea Devils* vorgeschlagen habe, war ich auch in die Entwicklung der jeweiligen Logo-Gestaltung miteingebunden. In jedem Fall gab es auf Seiten der NFL einen monatelangen Entwicklungsprozess mit endlosen Mood-Boards, Rechte- und Vergleichsprüfungen sowie Focus-Groups, in denen alle Vor- und Nachteile diskutiert wurden. Dabei wäre niemals ein griechischer Hoplitenhelm als römischer Legionshelm durchgegangen. Zitat „Asterix bei den Olympischen Spielen: „Mein römisches Herz ist empört“.

*Hintergrund für diese Namen: Spielfilm „Glory“ - Ehrung der Nordstaaten Regimenter und Freiwilligen aus Ohio; „Centurions“ eigentlich erübrigt sich bei der Colonia Claudia Augusta Ara Agrippinensium, Verwaltungszentrum der Provinz Germania Inferior jede weitere Erklärung; Sea Devils – Referenz an den Seeteufel Felix Graf Luckner. Leider haben die Paris Templars  (Hauptsitz des Tempelritterordens bis AD 1307) nie das Licht der Welt erblickt.

Überhaupt sorgen die Logos der ELF und der neuen Teams für viele Diskussionen. Die ELF selbst musste ihr eigenes Logo schon nach kurzer Zeit ändern, weil die drei Buchstaben für zu große Verwechslungsgefahr sorgten. Und bei anderen Teams wurde kritisiert, dass diese kostenlose oder günstige Designvorlagen nutzen, die in dieser Form schon häufiger verwendet wurden.

Wie hatte die NFLE die Logos erstellen lassen, wurden die Rechte vorab geprüft?

Die alten Namen der NFL-Teams sind als solche nicht schützbar gewesen, da es sich um Begriffe der Umgangssprache handelt. Eine Wort-Bildmarke, die also ein kreatives eigenes Design beinhaltet, kann in ihrer Gesamtheit jedoch sehr wohl geschützt werden. Bei den Logos der „neuen“ Teams ist natürlich jedem sofort aufgefallen, dass diese ganz massiv abgeändert worden sind, so dass diese mit den historischen Logos der Teams zum Teil nur noch wenig gemein haben. Wenn dies also die Unterstützung durch die NFL sein soll, dann kann es sich hier doch bestenfalls um eine Duldung handeln, da bereits ein Nutzungsrecht in dieser Form so doch offenkundig nicht vorliegt.

Stichwort Salary Cap, diese wird in der NFL mit dem Draft System genutzt, um mehr Balance und Ausgeglichenheit der 32 Teams zu gewährleisten. Gab es diese auch in der NFLE und halten Sie so etwas in Deutschland mit den eigenständigen Vereins–oder GmbH Strukturen für realisierbar?             

In der NFLE erhielten alle Spieler das gleiche Gehalt (USD 1.000 je Spiel vor Steuern – das Doppelte bei einem World Bowl Sieg), wobei lediglich die QBs ein wenig mehr erhielten. Regulatorisch ließe sich ein Salary Cap auch im deutschen Football einführen, solange sich alle Clubs danach richten, die Statuten dafür geändert werden und niemand vor den EuGH zieht, um dagegen zu klagen, da es ja das berühmte Bosman-Urteil gibt. Allerdings impliziert das NFL Salary Cap eben auch, dass alle Clubs ihre Spieler proportional entsprechende der Umsätze bezahlen und das würde insgesamt zum Anstieg der Spielerkosten führen – in einer Liga, die ja eigentlich ausschließlich Amateursport betreibt.

Die NFL ist mit der International Series in England und Mexico sehr erfolgreich. Sehen Sie Chancen, das auch in Deutschland NFL Spiele stattfinden? Und wie schätzen die Chancen ein, dass die NFL mit der ELF kooperieren wird, um diese Europäische Liga zu etablieren?

„Wie gesagt, aktuell gibt es allenfalls eine Duldung seitens der NFL und deren Ansprüche an professionelle Standards in jedem Bereich sind sehr hoch; denen würden viele Clubs der Fußball-Bundesliga heute nicht genügen. Sollte die NFL tatsächlich wieder pro-aktiv wieder eine Europäische Liga etablieren, dann nur nach ihren Vorstelllungen, ihren Regeln und mit ihrem eigenen Führungspersonal.

Seitens der NLF war wohl bereits lange beabsichtigt, Spiele auf dem Kontinent durchzuführen, sobald ein US-Team (nachrichtlich die Jacksonville Jaguars) nach London verlegt werden. Ein Teil dieser Heimspiele hätte dann auf dem Kontinent stattfinden sollen, da es nicht sicher ist, ob der britische Markt wirklich 10 (8 + 2) Heimspiele einer NFL Mannschaft finanziell tragen würde. Aufgrund der rechtlichen Brexit-Unsicherheiten und dann der Corona-Pandemie, ist dies bislang immer wieder aufgeschoben worden. Diese Duldung ist nur ein Zwischenschritt, um diese Zwischenzeit zu überdecken.

Tatsächlich geht es jetzt hier darum, eine größere Markttiefe auf dem Kontinent zu erreichen, um perspektivisch Spiele der NFL aus diesem Markt heraus zu finanzieren. Eine eigenständige Liga ist in diesem Konzept längerfristig nicht vorgesehen. Einzelne Personen aus diesem Liga-Projekt spekulieren jedoch darauf, im Kontext der beabsichtigten NFL-Spiele auf dem Kontinent dann dort eine relevante Rolle zu spielen.“

Sie sind im Beirat des German Bowls 2021, dem Endspiel der GFL. Dieser wurde 2019 vor über 20.000 Zuschauern in Frankfurt ausgetragen und war ein voller Erfolg. Drei ehemalige GFL Teams aus Ingolstadt, Hildesheim und Elmshorn mussten aufgrund von Trainer – und Spielerabwanderungen bereits in untere Ligen gehen. Welchen Schaden sehen Sie für die GFL? Belebt Konkurrenz das Geschäft oder schadet es am Ende der Entwicklung des American Footballs in Deutschland?     

Je mehr guten Football und Event es gibt und der auch auskömmlich vom Umfeld aufgenommen wird, umso besser. Hier wird jedoch bei existierenden Vereinen rücksichtslos geplündert ohne wirkliche Steigerung in Qualität und Breitenwirkung und so wird hier insgesamt wohl nur eine laterale Verschiebung stattfinden, aber keine wirkliche Entwicklung.

Zum Abschluss noch eine Frage zur Jugendarbeit. Die Vereine in Deutschland bieten schon den Kleinsten über Flag-Football Programme erste Kontakte zum American Football und bauen das über verschiedene Altersklassen im Kontaktfootball bis zu den Damen- und Herrenligen auf. Die NFLE hatte damals die Wichtigkeit der Jugendarbeit erkannt und verschiedene Programme angestoßen. Wie stehen Sie dazu, ganz ohne eigene Jugendarbeit eine Liga zu starten?            

Zum Thema Ausplünderung ist eigentlich schon alles gesagt. Ich frage mich jedoch ernsthaft, wie hier insgesamt die langfristige Perspektive aussehen soll, wenn hinsichtlich der Fans und Nachwuchsspieler derart auf Verschleiß gefahren wird, während es doch zugleich offenkundig ist, dass das strategische Interesse der NFL weniger auf der (Neu-) Etablierung einer europäischen Liga liegt, sondern darin, den Markt für die Kapitalisierung zusätzlicher Spiele auf dem Alten Kontinent zu schaffen.  

Tilman Engel 2007 bei Frankfurt Galaxy, Foto imago, Martin Winter 

 

 

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